Geschäftsbericht für das Jahr 2006

Landesstiftung Opferschutz
Der Vorstand

 

 

Das ausgehende Berichtsjahr wurde überschattet durch die Krankheit und den plötzlichen Tod des Vorsitzenden, Herrn Vorsitzenden Richter am Landgericht a. D. Herbert Schmid.

Herr Schmid hat die Stiftung von ihren Anfängen an durch seine hohe Sachkunde und souveräne Leitung sowie durch sein außergewöhnliches Engagement und menschliches Verständnis geprägt und zu einem vorbildlichen Instrument der individuellen Hilfe für Verbrechensopfer und zur Unterstützung von Opferzeugen-Betreuungsprogrammen entwickelt.

Sein Tod hat zwangsläufig zu einem Bruch in der kontinuierlichen Arbeit der Stiftung geführt, den auszugleichen die Mitglieder des Vorstandes und des Zuwendungsausschusses bemüht sind.


1. Tätigkeit der Stiftungsorgane

2. Individuelle Opferunterstützungen

3. Regressansprüche

4. Finanzierungshilfen für Opferzeugen-
    Betreuungsprogramme

5. Öffentlichkeitsarbeit

6. Finanzielle Ausstattung der Stiftung



1.

Tätigkeit der Stiftungsorgane

  Das Kuratorium tagte am 20.Oktober 2006 unter dem Vorsitz von Herrn Justizminister Prof. Dr. Ulrich Goll. Der Vorstandsvorsitzende der Landesstiftung Opferschutz (LSO) erläuterte den Geschäftsbericht für das erste Halbjahr 2006 und legte sowohl eine Einnahmen- und Ausgabenrechnung zum 30.6.2006 wie auch eine Übersicht zum Haushaltsplan vor. Der Haushaltsplan wurde einstimmig beschlossen und der Vorstand ebenso einstimmig entlastet.

Es erging der Beschluss, den Haushaltsplan schon zu Beginn des Kalenderjahres vom Kuratorium im schriftlichen Umlaufverfahren beschließen zu lassen. Dieser Vorgabe konnte der Vorstand der LSO auf Grund der mit dem Tod des Vorsitzenden verbundenen Umstände noch nicht entsprechen. Aus gleichem Grund verzögerte sich die Vorlage dieses Geschäftsberichtes für 2006.

Sämtliche Mitglieder des Vorstandes und des Zuwendungsausschusses stellten sich zur Wiederwahl und wurden vom Kuratorium einstimmig wieder gewählt.

Der Vorstand der LSO tagte im Jahr 2006 sechs Mal, der Zuwendungsausschuss acht Mal.

 

2.

Individuelle Opferunterstützungen

 

Im Jahre 2006 gingen 188 Anträge für 214 Personen bei der LSO ein. Aus dem Vorjahr war noch ein Überhang von 39 nicht entschiedenen Anträgen vorhanden. Von diesen insgesamt 227 Anträgen wurden im Berichtsjahr 194 Anträge entschieden.

Bezogen auf die Neuanträge bedeutet dies im Vergleich zum Vorjahr (156 Anträge für 175 Personen) eine Zunahme um 12,18 Prozent.

Positiv entschieden wurden 110 Anträge (davon 18 Anträge aus dem Jahr 2005, vier aus dem Jahr 2004 und einer aus dem Jahr 2002 für insgesamt 121 Gewaltopfer.

103 der Gewalttaten wurden in Baden-Württemberg, sieben in anderen Bundeslän-dern oder im Ausland begangen.

Insgesamt wurden für die 121 Gewaltopfer (davon 20 Hinterbliebene) Zuwendungen in Höhe von insgesamt 430.659,27 Euro bewilligt. Das ist im Vergleich zum Vorjahr (438.300,00 Euro) eine leichte Abnahme von aufgerundet 1,76 Prozent.

Nach Deliktsarten entfielen:

  • 14,28 Prozent (13 Fälle / 61.500,00 Euro) auf Tötungsdelikte
  • 54,42 Prozent (66 Fälle / 234.359,27 Euro) auf schwere und gefährliche Körperverletzungen / Raub,
  • 27,35 Prozent (26 Fälle / 117.800 Euro) auf Sexualdelikte
    einschließlich gewaltfreien sexuellen Missbrauch von Kindern und
  • 3,95 Prozent (5 Fälle / 17.000 Euro) auf sonstige Delikte
    wie schwere Belästigung (Stalking), häusliche Gewalt oder Freiheitsberaubung.

Die Zuwendungen verteilen sich im Verhältnis 92,24 zu 7,76 Prozent (397.259,27 Euro : 33.400,00 Euro) auf Schmerzensgeldersatz und materiellen Schadensausgleich. Der relativ geringe Anteil der Zuwendungen zum Ausgleich materieller Tatfolgen erklärt sich zum Einen aus der nicht immer gegebenen Bedürftigkeit der Antragsteller, zum Anderen daraus, dass die Antragsteller Entschädigungsleistungen auch von anderer Stelle (OEG, Berufsgenossenschaften u.a.) erhalten, von dort aber kein Schmerzensgeldersatz vorgesehen ist.

Schmerzensgeldersatz empfinden die Opfer auch als Zeichen von Anteilnahme und Solidarität, die ihnen die Verarbeitung der Tat und ihres seelischen Traumas erleichtert.

Eingegangen sind von den in 2006 positiv entschiedenen Fällen (110)

  • über den WEISSEN RING 30,
  • über Polizeidienststellen 11,
  • über Behörden 1,
  • über Gerichtshelfer oder andere Opferhilfsorganisationen 4,
  • über Rechtsanwälte 26,
  • von den Opfer direkt oder deren gesetzlichen Vertretern 38.

In rund 70 Prozent der Fälle waren Nacherhebungen erforderlich (Gerichtsurteile, ärztliche Atteste, behördliche Auskünfte u.a.), um die Anträge entscheidungsfähig zu machen.
Damit verbunden ist ein nicht unerheblicher Arbeits- und Kostenaufwand.

Abgelehnt werden mussten 84 Anträge (= 43,30 Prozent). Als Gründe hierfür kommen hauptsächlich in Frage: Straftaten ohne Bezug zu Baden-Württemberg, nicht vorsätzlich begangene Straftaten oder Vermögensdelikte; aber auch Altfälle ohne hinreichende Feststellbarkeit der Tatumstände oder Ursächlichkeit für aktuelle Lebensprobleme sowie Fälle von geringer Schwere und geringen Tatfolgen. Zum Teil bestanden realisierbare Ersatzansprüche gegen den Täter oder es fehlte an der materiellen Not (Bedürftigkeit) bzw. an einem erheblichen Schmerzensgeldanspruch (mindestens 2500.- Euro). Nicht zuletzt waren es aber auch Fälle, zu deren Zustandekommen die Antragsteller selbst einen nicht unwesentlichen Beitrag geleistet hatten und eine Zuwendung unbillig gewesen wäre.

39 Anträge waren am 31.12.06 noch nicht entschieden bzw. nicht entscheidungsreif.

 

3.

Regressansprüche

  Als völlig unergiebig haben sich erneut die z.T. recht aufwendigen Versuche erwiesen, die per Abtretungserklärung der Empfänger der LSO zugewachsenen Ansprüche an die Täter zu realisieren. Die Versuche scheiterten sämtliche daran, dass die Schuldner (soweit sie eine Freiheitsstrafe verbüßt haben) unbekannten Aufenthalts sind, nach wie vor zahlungsunfähig bzw. zahlungsunwillig sind oder gar nicht reagieren. Hinzu kommt, dass in der Regel vorrangige Ansprüche der Zuwendungsempfänger und der Versorgungsämter nach § 81 a BVG gegen den Täter bestehen.
 

4.

Finanzierungshilfen für Opferzeugen-Betreuungsprogramme

  Im Jahre 2006 wurden 12 gemeinnützigen Organisationen zur Durch- und Weiter-führung von Opfer(zeugen)-Betreuungsprojekten Finanzierungshilfen in Gesamthöhe von 223.300,00 Euro bewilligt.
Zwei Anträge mussten im Hinblick wegen Unvereinbarkeit mit der Satzung und den Zuwendungsrichtlinien abgelehnt werden.

Wie sich aus dem Geschäftsbericht für das 1. Halbjahr 2006 ergibt, ist die Zahl der Unterstützungsanträge von Frauenberatungsstellen weiter angestiegen.

Nachdem das Kuratorium im Oktober 2005 die Förderbarkeit von Opferzeugen-Betreuungsprogrammen gemeinnütziger Organisationen auch ohne unmittelbaren Bezug zu Strafverfahren, also insbesondere im Zusammenhang mit Platzverweis und Gewaltschutzverfahren nach häuslicher Gewalt, bejahte, ist der LSO-Vorstand in Zeiten sinkender öffentlicher Zuschüsse an solche Organisationen zunehmend mit Finanzierungsbitten befasst.

Hinzu kommt, dass nach Auslaufen der Anschubfinanzierung des Projekts "Gegen Gewalt, Kinder als Zeugen und Opfer häuslicher Gewalt" bei 14 Einrichtungen des Landes durch die Landesstiftung Baden-Württemberg im Juni 2006 verschiedene Vereine sich nun eine Weiterfinanzierung durch die LSO erhoffen.
Weitere Betreuungsfelder und damit Zuwendungsersuchen an die LSO haben sich in den Bereichen Stalking, Zwangsheirat und Zwangsprostitution aufgetan.

Im Bereich der Opferzeugenbetreuung (Zeugenbegleitung zu Gerichtsverhandlungen), auf den der Satzungszweck ursprünglich zugeschnitten war, haben sich durch die betont „parteiliche“ Beratung und Begleitung von Opferzeuginnen durch Frauenhilfsvereine Probleme hinsichtlich einer Beeinflussung von Zeugenaussagen ergeben.
Die LSO wird bei erwiesener "Parteilichkeit" solche Organisationen nicht unterstützen. Die überwiegende Mehrheit der Hilfsorganisationen bekennt sich dazu, die von ihnen betreuten Opfer möglichst nicht zu beeinflussen.

 

5.

Öffentlichkeitsarbeit und Tätigkeit der Stiftungsorgane

 

Zum 5. Jahrestag der Gründung der Landesstiftung Opferschutz am 20. März 2006 wurde in den Medien über das Wirken der Stiftung ausführlich berichtet. Es wurde hervorgehoben, dass "die Weiterexistenz der LSO unverzichtbar" sei. Der Vorstandsvorsitzende Herbert Schmid hatte Gelegenheit an verschiedenen Veranstaltungen teilzunehmen und die Ziele und Möglichkeiten der Stiftung darzustellen; so z. B. am Stiftungstag des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen am 10. bis 12. Mai 2006 in Dresden. Darüber hinaus wurde die LSO in einschlägigen Informationsschriften anderer Organisationen und Verbänden vorgestellt. Auf der Internet-Homepage der Stiftung, im E-Bürger-Dienst-Portal Baden-Württemberg, in den Rundbriefen des WEISSEN RINGs, dem Info-Material der Polizei sowie in der Bro-schüre "Stiftungen in Stuttgart" des Initiativkreises Stuttgarter Stiftungen u. a. wird weiter über die LSO berichtet. Bei internen und öffentlichen Veranstaltungen des WEISSEN RINGs wird laufend über die LSO referiert. Auf Anfragen von anderen Bundesländern oder aus Anlass von Anhörungen wurde die LSO dargestellt und über die Erfahrungen berichtet. Hierzu ist festzustellen, dass ähnliche Einrichtungen und Vorhaben in anderen Bundesländern (z.B. Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt) bei Weitem nicht den Standard von Baden-Württemberg erreichen. Vom WEISSEN RING als größte und bundesweit tätige Opferhilfsorganisation wird auch stets darauf hingewiesen, dass Baden-Württemberg auf dem Gebiet des Opferschutzes bundesweit Vorbildfunktion hat.

Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass die LSO inzwischen einen guten Bekanntheitsgrad hat und etabliert ist.

 

6.

Finanzielle Ausstattung der Stiftung

 

Am 28.3.2006 erhielt die LSO von der Landesstiftung Baden-Württemberg die 1. Hälfte der 4. Zuwendungsrate, also den Betrag von 639.115,00 Euro. Damit verfügte die Stiftung am 30.6.06 zur Erfüllung ihrer satzungsgemäßen Aufgaben über Mittel in Höhe von 532.089,96 Euro. Abzüglich der bereits bewilligten Zuwendungen an individuelle Opfer und OZB-Organisationen (66.000,- bzw. 114.800,- Euro) standen der LSO bis Ende 2006 Euro 351.289,96 zur Verfügung.

Insgesamt hat die LSO in 2006 für die individuelle Opferhilfe 439.959,27 Euro, für OZB-Programme 268.300,00 Euro eingesetzt.

Spenden und Geldbußen sind absichtsgemäß nur in geringer Höhe eingegangen (keine Konkurrenz mit freien Opferhilfsorganisationen des Landes).

Die Verwaltungskosten und Sonstigen Aufwendungen machen 4,51 Prozent der Gesamtaufwendungen aus.

Die LSO hat die Landestiftung Baden-Württemberg am 31.1.07 um Bereitstellung der 2. Hälfte der 4. Zuwendungsrate gebeten.

Mit der 5. und bislang letzten Rate von 1.278 Mio. Euro wird dann die LSO ihre Arbeit bis Mitte 2008 fortsetzen können.

Es bleibt zu hoffen, dass danach die weitere Arbeit der Stiftung im Interesse der Gewaltopfer durch Folgezuwendungen der Landesstiftung Baden-Württemberg oder – besser noch – durch Ausstattung mit einem eigenen Stiftungskapital gesichert werden kann.

 

gez. Müller
stellvertretender Vorstands
der Landesstiftung Opferschutz